Company Insights: Der Klang von Sonova

09/09/2022

 

Hörverlust ist ein weltweites Problem. Die Bedeutung eines guten Gehörs und die Folgen eines Hörverlusts werden jedoch nach wie vor unterschätzt, obwohl die Weltgesundheitsorganisation (WHO) davon ausgeht, dass derzeit mehr als 1,5 Milliarden Menschen (20 % der Weltbevölkerung) schwerhörig sind.

430 Millionen Menschen (5,5 % der Weltbevölkerung) leiden an einem mittelschweren oder stärkeren Hörverlust, der ohne Behandlung höchstwahrscheinlich den Alltag und die Lebensqualität der Betroffenen beeinträchtigen wird.1 Die WHO schätzt, dass bis zum Jahr 2050 2,5 Milliarden Menschen (jeder Vierte) von einem Hörverlust betroffen sein werden, und mehr als 700 Millionen Menschen werden aufgrund einer mittleren oder stärkeren Schwerhörigkeit eine Hörversorgung benötigen.2 Im Gegensatz zu Lesebrillen, die ihren Trägern ein gewisses Etwas verleihen und den Eindruck von Intelligenz erwecken, ist das Tragen von Hörgeräten, z. B. von Sonova, einem der grössten Anbieter weltweit, immer noch mit einem seltsamen Stigma behaftet.

[1] WHO, "World Report on Hearing" (2021): Seite 40
[2] WHO, "World Report on Hearing" (2021): Seite 139

 

Abbildung 1: Überblick über Hörverlust weltweit
Source: WHO, "World Report on Hearing" (2021).

Wir haben den CEO von Sonova, Arnd Kaldowski, zu den Kunden seines Unternehmens, dem Produktportfolio und den allgemeinen Marktaussichten befragt.

Wir von Rothschild & Co Wealth Management Switzerland (Rothschild & Co Bank AG) sind langfristige Anleger in Sonova und haben ein umfassendes Verständnis für das Unternehmen und den Markt, in dem es tätig ist, erworben. Für weitere Informationen kontaktieren Sie bitte Ihre Kundenberaterin oder Ihren Kundenberater.

Die Sonova Holding AG ist im Gesundheitssektor tätig. Zusammen mit ihren Tochtergesellschaften entwirft, entwickelt, produziert, vertreibt und wartet die Firma Hörsysteme für Erwachsene und Kinder mit Hörbehinderung. Das Unternehmen ist in zwei Geschäftsbereichen tätig: Das Segment Hörgeräte, das die Unternehmen umfasst, die in der Produktion von Hörgeräten und verwandten Produkten tätig sind, und das Segment Cochlea-Implantate mit den Unternehmen, die in der Produktion und im Vertrieb von Hörimplantaten und verwandten Produkten tätig sind. Sonova vertreibt ihre Produkte in über 90 Ländern über ihr eigenes Vertriebsnetz und über unabhängige Händler.

 

Abbildung 2: Wichtige Zahlen und Fakten zu Sonova

F1. Für unsere Leser, Arnd, was ist ein typischer Kunde und können Sie die Attraktivität der Hörgeräteindustrie beschreiben?

Der typische Sonova-Kunde ist zwischen 70 und 71 Jahre alt, der erstmalige Hörgeräteträger ist wahrscheinlich 4 bis 5 Jahre jünger. Die Hörgerätebranche erfährt gerade eine interessante Zeit: Das langfristige Marktwachstum hat sich beschleunigt, da die Babyboomer-Generation in das Alter kommt, in dem Hörverlust häufig auftritt. Diese Generation hat eine höhere digitale Affinität und ist sehr aktiv, was bedeutet, dass Geräte gefragt sind, die einfach zu tragen sind und mit allen Arten von Kommunikationsgeräten verbunden werden können. Was macht den Markt für Anleger attraktiv? Erstens die soliden Fundamentaldaten, denn der typische Kunde hat heute im Schnitt deutlich mehr Geld zur Verfügung und erreicht ein höheres Alter. Und zweitens, die Produktperspektive: Hörgeräte haben sich erheblich verbessert und die Kombination aus besserer Hörleistung und neuen Funktionen gibt uns aus Sicht der technologischen Innovation viel Spielraum für bessere Ergebnisse.

F2. Eine bekannte Statistik besagt, dass acht von zehn Menschen, die ein Hörgerät benötigen, keines benutzen. Was sind die Hauptgründe für diese mangelnde Akzeptanz und wie gehen Sie damit um?

Die mangelnde Akzeptanz und die Gründe dafür hängen von der geografischen Region ab. Vor allem in den Schwellenländern ist den Menschen nicht bewusst, wie gut unsere Geräte geworden sind. Ausserdem herrscht ein verbreiteter Irrtum in Bezug auf ihre Grösse und Qualität. Dies ist in den Industrieländern weniger der Fall. Ein weiterer Faktor ist die Erschwinglichkeit und das Kostenerstattungsumfeld. Unsere Kunden sind hauptsächlich ältere Menschen, die eine Altersrente beziehen. In Europa erhalten sie für den Kauf von Hörgeräten in der Regel Zuschüsse vom Staat oder von Versicherungen. In den USA ist dies nicht immer der Fall und in vielen südasiatischen Ländern, im asiatisch-pazifischen Raum und in Afrika südlich der Sahara sind Zuschüsse eine Seltenheit. Ausserdem ist das Tragen eines Hörgeräts immer noch mit einem Stigma behaftet, vor allem in Asien, wo es kulturell bedingt schwieriger ist, Einschränkungen, sprich Behinderungen, zu zeigen.

Beim Angehen dieser Probleme versuchen wir stets, über unsere eigenen Hörgerätegeschäfte das Bewusstsein in der Bevölkerung zu schärfen und mit Hörgeräteakustikern zusammenzuarbeiten, bei denen wir als B2B-Akteure auftreten. Bei der Entwicklung von Deckungsmodellen arbeiten wir auch mit dem Versicherungssektor zusammen, führen klinische Studien durch, um die medizinische Evidenz zu belegen, und haben ein Modell der Einmalfinanzierung eingeführt, das beim Kauf eines Geräts in unseren eigenen Hörgerätegeschäften fünf Jahre kostenlosen Service beinhaltet. Um der Annahme zu begegnen, dass Hörgeräte auffällig und hässlich sind, haben wir kleinere Geräte entwickelt und versucht, Hörgeräte mit Hearables zu kombinieren. Vor diesem Hintergrund haben wir z. B. das Phonak Marvel Im-Ohr-Hörgerät entwickelt. Ursprünglich haben wir es nur in Hautfarbe hergestellt, aber jetzt bieten wir es auch in Schwarz an, damit man keinen Unterschied mehr zwischen einem Hörgerät und einem Ohrhörer erkennen kann.

F3. Sonova hat vor kurzem die Consumer Division von Sennheiser übernommen und ist damit in das Consumer-Hearing-Geschäft eingestiegen. Können Sie uns etwas mehr über die Hintergründe erzählen und warum Sie so begeistert von diesem Geschäft sind?

Sennheiser verfügt über ein sehr starkes Geschäft mit Premium-Kopfhörern und Audiophiles, was uns gefallen hat. Das eigentliche strategische Ziel war jedoch das sprachunterstützte Segment der Hearables, der smarten Kopfhörer. Unsere Umfragen bei vielen Kunden haben ergeben, dass diejenigen, die Kopfhörer kaufen, nach sprachunterstützenden Funktionen in ihren Kopfhörern suchen. Sonova verfügt über die entsprechenden Technologien, aber wir mussten feststellen, dass uns der direkte Zugang zu den Verbraucherkanälen fehlte. Sennheiser wird die Lücke zwischen uns und den Verbrauchern schliessen, ein Zwischensegment erschliessen und Menschen, die noch nicht bereit für Hörgeräte sind, drei bis vier Jahre früher in diese Kategorie bringen.

Abbildung 3: Hörreise für Verbraucher

F4. Sonova hat ihr Portfolio erweitert und betreibt heute weltweit über 3'600 Hörgerätegeschäfte. Können Sie sich in Anbetracht der allgemeinen Verlagerung der Einkaufsgewohnheiten in Richtung Online eine Welt vorstellen, in der ein Sonova-Kunde alle technischen Möglichkeiten hat, eine Anprobe komplett von zu Hause aus zu machen?

Wir verfolgen die Diskussion über den Online-Verkauf und die Selbstanpassung schon seit vielen Jahren. Interessanterweise konnten wir unsere Kunden auch während der gesamten Covid-Phase nicht davon überzeugen, die zweite oder dritte Anprobe online durchzuführen. Was sind die Gründe dafür? Für die Verbraucher ist dies ein medizinischer Beruf, was bedeutet, dass sie die Diagnose ihrer Hörfähigkeit sowie die Behandlung (Anpassung) von einer Fachperson durchführen lassen wollen. Daher zieht es die Mehrheit vor, in ein Verkaufsgeschäft zu gehen und den Berater oder die Beraterin ihres Vertrauens aufzusuchen. Ich denke, dass wir in 10 Jahren immer noch viele Verkaufsgeschäfte haben werden, wobei der Anteil der Kunden, die zumindest einen Teil der Anprobe online erledigen, etwas höher sein wird.

Die Sicht der Analysten

Von 2014 bis 2017 und erneut seit Februar 2022 sind wir im Rahmen unserer Mosaique-Strategie und seit 2016 im Rahmen unserer LongRun-Strategie in Sonova investiert. Wir halten das Unternehmen für gut positioniert, um den zugrunde liegenden Markt aufgrund der jüngsten Produkteinführungen zu übertreffen.

Das Unternehmen profitiert von diesen neuen Produkten, die auf dem Markt gut aufgenommen werden, und von der Ausgewogenheit seiner drei Hauptvertriebskanäle (Grosshandel, Einzelhandel und Online). Längerfristig sind wir nach wie vor der Meinung, dass Sonova das am besten positionierte Unternehmen in einer sehr attraktiven Branche mit langfristigem demografischem Rückenwind, einer konsolidierten Marktstruktur und attraktiven wirtschaftlichen Rahmenbedingungen ist.

F5. Können Sie uns einige Hintergrundinformationen zu den jüngsten technologischen Entwicklungen bei Sonova geben und gab es in letzter Zeit Technologie-Updates oder Produkt-Releases, die für Sie besonders interessant waren?

Die Wiederaufladbarkeit war vor etwa fünf Jahren ein grosser Schritt. Sie verleiht Sicherheit und erhöht die Zuverlässigkeit, weil man das Gerät zum Aufladen nicht öffnen muss. Gleichzeitig haben ältere Menschen oft Schwierigkeiten mit der Feinmotorik. Somit sind wiederaufladbare Geräte benutzerfreundlicher. Ein weiterer Meilenstein war der Wechsel zur Konnektivität. Unsere Konkurrenten haben sich ausschliesslich auf die Konnektivität mit iPhones konzentriert. Wir sind einen anderen Weg gegangen und haben einen Konnektivitäts-Chip entwickelt, der so wenig Energie verbraucht, dass man ihn über Bluetooth anschliessen kann. Nach vier Jahren sind wir immer noch führend auf diesem Gebiet und unsere Geräte sind die einzigen, die sich gut mit Android-Handys und -Tablets verbinden lassen. Dies wirkte sich während des Covid-Programms sehr positiv aus, als die Leute dazu übergingen, von zu Hause aus zu arbeiten, denn nun konnten sie ihre verschiedenen elektronischen Geräte problemlos an ihr Hörgerät anschliessen. Eine weitere spannende Entwicklung ist, dass wir gerade dabei sind, Sensoren in unsere Hörgeräte einzubauen. Ein Beispiel ist unser so genannter «Beschleunigungssensor», der Bewegungen erkennen als auch ein Herzfrequenzsensor, der den Puls messen kann. Ein interessanter Effekt des Beschleunigungssensors ist, dass er – gepaart mit einem Algorithmus – das Hörgerät in die Lage versetzt, Bewegungen zu erkennen, wenn man neben einer Person geht, und die Klangverarbeitung entsprechend anzupassen. Dies ist ein Beispiel dafür, wie die Technologie voranschreitet und Dinge ermöglicht, die vorher undenkbar waren.

F6. Ein Blick in die Zukunft: Wie wird der Hörgerätemarkt Ihrer Meinung nach in zehn Jahren aussehen und welche Wachstumschancen ergeben sich daraus für Sonova?

Eine grosse Chance liegt eindeutig in den wachstumsstarken Schwellenmärkten. Ein Beispiel ist China, wo wir immer wieder mehr als erstaunt darüber sind, wie wenig Menschen Hörgeräte benutzen. In der westlichen Welt nutzen etwa 25 bis 30 % der schwerhörigen Menschen Hörgeräte, in China sind es 2 bis 3 %. Was hält sie zurück? Dafür gibt es verschiedene Gründe: Erschwinglichkeit, Stigmatisierung, Bewusstseinsbildung sowie die mangelnde Verfügbarkeit von Hörgeräteakustikern. Aus geografischer Sicht hat unsere Branche nicht das gleiche Wachstum erlebt wie andere medizinische Geräte. Im Bereich der Diagnostik oder der Biowissenschaften beispielsweise macht China in der Regel 20 % des Geschäftsvolumens aus, in «unserer Welt» sind es 3 %. In China gibt es also noch einiges zu tun. Wir wollen die Menschen auch dazu bringen, Hörgeräte früher zu benutzen. Im Durchschnitt dauert es etwa sieben Jahre, bis sich ein Kunde nach der Diagnose eines Hörverlusts für ein Hörgerät entscheidet, denn viele wollen sich den Hörverlust lange Zeit nicht eingestehen. Es wird zu einem erheblichen Wachstum führen, wenn wir in der Lage sind, dies um zwei bis drei Jahre vorzuverlegen. Der letzte Punkt ist die zunehmende Funktionalität: Medizinische Studien haben gezeigt, dass Menschen mit unbehandeltem Hörverlust dreimal häufiger stürzen und Demenz sowie Depressionen dreimal schneller fortschreiten. In diesem Bereich besteht ein enormer gesundheitsökonomischer Bedarf, da es sich hier um teure Krankheiten handelt, die über die gesamte Lebensspanne hinweg Kosten verursachen und auch die Lebensqualität beeinträchtigen. Ich habe die Vision, dass ein Hörgerät in zehn Jahren mit mehr Funktionalitäten ein Begleiter für ein gesundes Leben sein wird. Um dieses Ziel zu erreichen, hat Sonova, wie bereits erwähnt, die Konnektivität zu Android verbessert und ist anderen Unternehmen bei der Sensortechnologie viele Schritte voraus.

Arnd Kaldowski, CEO von Sonova, wurde am 28. Juni 2022 von unseren Investment Insights und Equity Analyst Teams von Rothschild & Co Bank AG interviewt. Die in diesem Gespräch dargestellten Ansichten stammen von Sonova und spiegeln nicht notwendigerweise die Ansichten von Rothschild & Co Bank AG wider.