Wealth Management: Analyse der jüngsten Inflationsdaten

Volkswirtschaftlicher Blog, Wealth Management Deutschland, Frank Hübner

Inflationsdaten im Juni 2021: Negative Überraschungen weit und breit

Zur erwünschten Belebung der Wirtschaft gesellte sich in den vergangenen Monaten ein starker Anstieg der Inflation. Dies ist keine isolierte Entwicklung in einzelnen Volkswirtschaften. Der Trend von teilweise deutlich über den Erwartungen liegenden Inflationsraten konnte zuletzt auf breiter Front in den westlichen Industrieländern beobachtet werden. Die Inflationsdaten für Juni machten dabei keine Ausnahme. Vielmehr ist ein klares Muster zu erkennen: Je dynamischer die Belebung der Wirtschaftsaktivität ist, desto ausgeprägter fallen die Preissteigerungen bei den Verbrauchern aus. Die USA befinden sich aufgrund von massiven fiskalpolitischen Unterstützungsprogrammen, einer erfolgreichen Impfkampagne und frühen Lockerungsmaßnahmen nach China an der Spitze des globalen konjunkturellen Erholungsprozesses. Somit ist es in den USA im ersten Halbjahr 2021 zu einem regelrechten Inflationsspurt gekommen. Die Inflationsrate stieg von 1,3% Ende 2020 um vier Prozentpunkte auf 5,3% im Juni 2021 an. In der Eurozone und in Deutschland kam es im gleichen Zeitraum zwar auch zu einem ausgeprägten Inflationsanstieg. Dieser blieb aber sowohl in seinem Ausmaß als auch hinsichtlich des aktuellen Inflationsniveaus deutlich hinter der Entwicklung in den USA zurück. So entsprach der Inflationszuwachs in der Eurozone mit gut zwei Prozentpunkten nur die Hälfte des Anstiegs in Übersee. Die Inflationsrate der Eurozone befand sich im Juni mit 1,9% noch deutlicher unter dem US-Wert. Die vergleichbaren Zahlen für Deutschland liegen mit einem Anstieg von 2,8 Prozentpunkten und einer Juni-Inflation von 2,1% etwas über dem Trend in der Eurozone, aber deutlich unter den Werten der USA. Bei den so genannten Kerninflationsraten (Verbraucherpreise ohne die stark schwankenden Energie- und Nahrungsmittelpreise) zeigt sich zwischen Europa und Nordamerika das gleiche Bild. Das Inflationsgeschehen ist in den USA wesentlich dynamischer. Es vollzieht sich zudem auf einer deutlich breiteren Basis. Mehr als 70% der Güter im Warenkorb zur Berechnung des US-Verbraucherpreisindexes wiesen im Juni Preissteigerungsraten von über 2% (dem Inflationsziel der Fed und der EZB) auf. Für etwas mehr als 10% der Warenkorbbestandteile wurden rückläufige Preise festgestellt. In der Eurozone ist das Verhältnis stärker steigender zu fallenden Preise deutlich ausgewogener. Deutliche Preisanstiege sind hier bislang bei weniger Produktgruppen als in den USA zu sehen.

Quelle: Bureau of Labor Statistics, Eurostat und eigene Berechnungen

Quelle: Bureau of Labor Statistics, Eurostat und eigene Berechnungen

Inflationstreiber Energiepreise: Aktueller Trend und „Basiseffekt“

Ein nicht überraschender und global wirkender Inflationstreiber sind die Energiepreise, die insbesondere bei den Wohnungs- und Verkehrskosten unmittelbar in die Inflationsberechnung eingehen. Für die Verbraucherpreisindizes beträgt die Warenkorbgewichtung der Energiekosten gegenwärtig 7% in den USA und rund 10% in der Eurozone sowie in Deutschland. Stärkere Schwankungen der Öl- und Gaspreise hinterlassen daher regelmäßig deutliche Spuren in den Inflationsstatistiken. In den USA lag der Preisanstieg für Energie im Juni bei ca. 25% gegenüber dem Vorjahr und erklärt damit etwas weniger als ein Drittel des Gesamtanstiegs der Inflationsrate. Hingegen lagen die Anteile der Energiekosten am Anstieg der Lebenshaltungskosten in der Eurozone und in Deutschland im letzten Monat bei 63% und 45%. Auch dies zeigt, dass der Inflationsanstieg in Europa zumindest im ersten Halbjahr 2021 in einer engeren Bahn als in den USA verläuft.

Die Inflationsraten werden in der Regel als Vorjahresvergleich berechnet, sodass stark ausgeprägte Preisschwankungen zu einem besonderen Phänomen führen. Gemeint ist ein „Memory-Faktor“ in der Ableitung der Inflationsrate. Dieser entsteht dadurch, dass der Vorjahreswert die Basis für die Berechnung der Änderungs- bzw. Inflationsrate bildet. Daher wird dieses Phänomen auch oft als Basiseffekt bezeichnet. Besonders gut lässt sich dieser Basiseffekt an der aktuellen Energiepreisinflation demonstrieren. In den 18 Monaten, vom Beginn der Coronakrise Ende 2019 bis Juni 2021, sind die Energiekosten in der Eurozone insgesamt um 2,8% gestiegen. Im ersten Halbjahr 2020 kam es zu einem markanten Preisrückgang um rund 9%. Seit Herbst 2020 hat sich dann wieder ein solider Aufwärtstrend der Preise etabliert, der bis heute anhält. Die sehr niedrigen Energiepreise im Frühjahr/Sommer des vergangenen Jahres stellen die Basis für den Vorjahresvergleich bei der Berechnung der Energiekosteninflation im Juni 2021 dar. Mit anderen Worten: Die Juni-Inflation der Energiekomponente (12,6%) ist nicht nur durch die jüngsten Preissteigerungen beim Rohöl zu erklären, sondern wird auch entscheidend vom niedrigen Ölpreisniveau vor 12 Monaten beeinflusst. Ohne den Preisverfall im ersten Halbjahr 2020 läge die Energiekosteninflation nur bei rund 3% und damit knapp 10 Prozentpunkte unter dem tatsächlichen Wert. Der sich aus dieser hypothetischen Rechnung ergebende Basiseffekt auf die Juni-Inflationsrate der Eurozone beläuft sich auf rund einen Prozentpunkt und würde – bei Herausrechnung - die ausgewiesene Inflationsrate von knapp 2% auf 1% drücken. In Deutschland würde die Bereinigung dieses so kalkulierten Basiseffekts die Inflationsrate auf 1,5% und in den USA auf 4% drücken. Basiseffekte laufen per Definition nach 12 Monaten aus. Im zweiten Halbjahr 2020 war das Niveau der Ölpreise aber immer noch sehr niedrig. Bis Ende 2021 werden Basiseffekte daher sowohl in den USA als auch in der Eurozone und in Deutschland tendenziell weiter inflationserhöhend wirken.

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen

Die Berechnung und Berücksichtigung von Basiseffekten ist keine exakte Wissenschaft und hängt immer auch davon ab, welche Annahmen und Vergleichswerte zugrunde gelegt werden. Die aktuellen Basiseffekte bei den Energiekosten sind aber ein wichtiger Grund, warum die Entscheidungsträger der amerikanischen Notenbank (Fed) und der Europäischen Zentralbank (EZB) die Inflationsbeschleunigung im laufenden Jahr als vorübergehend erachten.

Inflationsdynamik: Covid-bedingt nur temporär oder nachhaltig beschleunigt?

Basiseffekte sind aber nicht der einzige Grund, warum die Zentralbanker in den USA und der Eurozone bislang die Inflationsentwicklung ohne größere Besorgnis beobachten. Begründet wird diese entspannte Haltung der geldpolitischen Entscheidungsträger auch damit, dass in ihrer Analyse vorübergehende, Covid-bedingte und damit zeitlich begrenzte Effekte für den jüngsten Inflationsanstieg verantwortlich sind. Eine spezielle Mischung aus angebots- und nachfrageinduzierten Faktoren löst demnach vorübergehend preistreibende Effekte aus. Mit fortschreitender wirtschaftlicher Normalisierung würden diese aber in einigen Monaten auslaufen. Als ein Musterbeispiel für eine solche Wirkungskette wird in den USA die Entwicklung der Preise am Gebrauchtwagenmarkt angeführt. Engpässe bei der Produktion und Lieferung von Halbleitern haben zu Kürzungen bei der Automobilproduktion geführt. Die zuletzt wieder anziehende Nachfrage nach Kraftfahrzeugen konnte in den USA so nicht gedeckt werden. Längere Lieferzeiten, Preiserhöhungen im Neuwagen- und vor allem Gebrauchtwagenmarkt waren die Folge. Die Preise von gebrauchten, privat genutzten PKW und Nutzfahrzeugen lagen im Juni 45% über dem Vorjahresniveau. Ein Fünftel der Juni-Inflation in den USA kann nur mit der Preisentwicklung dieser Warenkorbkomponente erklärt werden.

Volkswirte der San Francisco Fed haben Inflationsraten berechnet, die einen Covid-Bezug haben und die keinem erkennbaren Einfluss der Corona-Krise unterliegen. Das Ergebnis ist eindeutig. Covid-sensitive Produktgruppen verzeichneten bis zum Spätsommer 2020 unterdurchschnittliche Preissteigerungen, aber steigen seitdem überdurchschnittlich stark an. Im Mai lag die Inflationsrate der Covid-sentiven Produkte mit knapp 4,5% doppelt so hoch wie der Rest des Warenkorbs. Eine weitere Erkenntnis, die sich aus den Daten der Fed-Experten ergibt, betrifft die Frage, ob Angebots- oder Nachfrageeffekte die treibende Kraft bei den Covid-induzierten Inflationsimpulsen sind. Auch hier ergibt sich ein klares Bild. In der ersten Phase der Coronakrise hat der Einbruch der Nachfrage einen dämpfenden Einfluss auf den Inflationstrend gehabt. Seit März 2021 ist der Beitrag der nachfragebedingten Impulse mit zunehmender Tendenz positiv. Im Mai 2021 war mehr als ein Drittel des preistreibenden, Covid-bedingten Effekts auf die Kerninflation allein durch einen Anstieg der Güternachfrage bedingt. Angebotsfaktoren erklären nur rund 10% des Inflationsimpulses.

Quelle: Federal Reserve Bank of San Francisco 

Quelle: Federal Reserve Bank of San Francisco 

*Beitrag zum covid-sensitiven Impuls auf die US-Kerninflation

*Beitrag zum covid-sensitiven Impuls auf die US-Kerninflation

Die These, dass die steigende Nachfrage gegenwärtig der Hauptfaktor hinter dem Inflationsanstieg in den USA ist, wird auch von anderen Daten unterstützt. Trotz der Probleme mit den globalen Lieferketten und den damit verbundenen Preisanstiegen bei Vorprodukten, ist den amerikanischen Unternehmen eine rasante Gewinnerholung gelungen. Die Basis dafür ist eine massive Ausweitung der operativen Margen, die im ersten Halbjahr 2021 mit rund 13% deutlich über dem historischen Durschnitt lagen. Dies spricht für eine Preissetzungsmacht der Unternehmen und deutet auf eine günstige Nachfragesituation hin. Auch am Arbeitsmarkt steigen die Löhne momentan spürbar an, obwohl die Anzahl der Beschäftigungen noch beträchtlich unter dem Niveau vor der Pandemie liegt. Dies gilt vor allem in Branchen wie dem Gaststätten- und Hotelgewerbe, in denen die Öffnung der Wirtschaft zu steigendem Personalbedarf führt.

Die an den Finanzmärkten eingepreisten langfristigen Inflationserwartungen in den USA sind weiterhin bei rund 2% verankert und auf dem Niveau des Inflationsziels der Fed. Trotzdem muss die amerikanische Notenbank sehr genau darauf achten, dass sich kein nachhaltiger Inflationsdruck aufbaut. Die aktuelle Konstellation deutet zumindest auf klar erkennbare Risiken hin. Es erscheint daher nicht ausgeschlossen, dass die Fed in den kommenden Monaten die Ankündigung einer Drosselung des geldpolitischen Stimulus konkreter ins Auge fasst und auch den mittelfristigen Leitzinspfad in Richtung eines früheren Kurswechsels anpasst.    

Bislang (noch) kein Anlass am Inflationsausblick der EZB zu zweifeln

Sowohl die Konjunktur- als auch die Inflationsdaten deuten bislang auf eine im Vergleich zu den USA unterschiedliche Ausgangslage in der Eurozone hin. Die Lockdown-Maßnahmen sind noch nicht so stark wie den USA gelockert und die Nachfrageimpulse von der Fiskalpolitik fallen deutlich schwächer aus. In der Eurozone ist bei Produktgruppen, die in den USA als Covid-sensitiv klassifiziert sind, bislang nicht annährend ein so starker Inflationsschub zu beobachten. Die Preise am Markt für Gebrauchtwagen lagen zum Beispiel in der Eurozone und Deutschland trotz einer ähnlich herausfordernden Situation für europäische Autohersteller nur rund 1% über dem Vorjahresniveau. In Frankreich und Italien stagnierten sie und in Spanien war im gleichen Zeitraum ein Preisrückgang von 5% zu verzeichnen.

Gegenwärtig wird die Erwartung der EZB, dass der jüngste Inflationsanstieg nur temporärer Natur ist, von den Daten unterstützt. Anlass zur Sorglosigkeit besteht aber auch für die Notenbanker in Frankfurt nicht. Auch in Europa ist im Zuge der Lockerungsmaßnahmen und der wirtschaftlichen Normalisierung mit einem spürbaren Nachfrageschub zu rechnen. Der Lager- und Investitionszyklus sprechen für einen hohen Nachholbedarf und auch beim privaten Verbrauch ist angesichts der hohen Sparquoten mit einer anziehenden Erholungsdynamik zu rechnen. Es wird sich zeigen, ob sich in der anstehenden Phase der erwarteten nachhaltigen Konjunkturerholung ähnliche inflationstreibende Effekte von der Nachfrageseite wie in den USA ergeben. Relativ sicher ist allerdings, dass die EZB in den kommenden Monaten mit einer ungünstigen Optik der Inflationszahlen konfrontiert sein wird. Wieder spielen Basiseffekte eine Rolle. Wie bereits erwähnt werden Energiekosten – so es nicht zu einem momentan unerwarteten deutlichen Rückgang der Ölpreise kommt – aufgrund der niedrigen Vergleichsbasis im zweiten Halbjahr 2020 für Aufwärtsdruck bei der Berechnung der Inflationsrate sorgen. Selbst wenn die Energiekosten auf dem Niveau von Juni verharren würden, lägen sie im Dezember immer noch gut 10% über dem Vorjahreswert. Hieraus ergibt sich rechnerisch ein Inflationsimpuls von 1%. Hinzu kommt noch ein weiterer Basiseffekt, der auf den temporären Mehrwertsteuersenkungen in letztem Jahr beruht, die in einigen Ländern der Eurozone zur Konjunkturstützung beschlossen wurden. Nach Berechnungen der Deutschen Bundesbank, hat die in Deutschland im Juli 2020 umgesetzte Steuermaßnahme einen inflationsdämpfenden Effekt von 0,6 Prozentpunkten gehabt. Im kommenden Monat fällt dieser Effekt demnach weg, und es dürfte zu einem Sprung der Inflationsrate in Richtung 3% kommen. In der Eurozone ist der Basiseffekt nicht ganz so ausgeprägt, aber auch spürbar.

 

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen   

*Inflationsprofil auf der Basis der durchschnittlichen monatlichen Preissteigerungsraten im Zeitraum Januar 2002 bis Juni 2021

Quelle: Eurostat und eigene Berechnungen   

*Inflationsprofil auf der Basis der durchschnittlichen monatlichen Preissteigerungsraten im Zeitraum Januar 2002 bis Juni 2021

Unterstellt man, dass die monatlichen Preissteigerungsraten bis zum Jahresende ausfallen wie im Durchschnitt der letzten 20 Jahre, steigt die Inflation in der Eurozone von aktuell knapp 2% in Richtung 3%. Anfang des kommenden Jahres setzt sich die Berg- und Talfahrt dann mit umgekehrten Vorzeichen fort. Ab Januar 2022 führen Basiseffekte – wenn es nicht zu unerwartet deutlichen Anstiegen an der Ölpreis- und Steuerfront kommt – zu einem spürbaren Rückgang der Inflationsrate auf 2%. In Deutschland ist die zu erwartende Berg- und Talfahrt der Inflationsraten mit hoher Wahrscheinlichkeit sogar noch wilder. Hier sind im Verlauf der Herbstmonate 2021 sogar Inflationsraten von 4% nicht ausgeschlossen, bevor sich in 2022 wieder eine deutliche Abwärtsbewegung einstellt. Dieses Inflationsprofil ist in die Juni-Projektionen der EZB eingebaut und wurde von Präsidentin Lagarde auf ihrer Pressekonferenz nach der Zentralbankratssitzung am 22. Juli ohne die Nennung konkreter Zahlen auch ausdrücklich erwähnt. Für die EZB wird es entscheidend sein, dass die langfristigen Inflationserwartungen gut bei ihrem Zielwert von 2% verankert bleiben. Wachsamkeit und eine gute Kommunikation werden den geldpolitischen Entscheidungsträger in den kommenden Monaten auf alle Fälle abverlangt. Die nächste Zentralbankratssitzung am 9. September wird daher auch wegen der turnusmäßig anstehenden Aktualisierung der Inflationsprojektionen der EZB-Volkswirte im Fokus der Finanzmärkte stehen.