Wealth Management: Wer hat Angst vor Inflation? Die EZB nicht.

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Wer hat Angst vor Inflatiton? Die EZB offensichtlich nich

Die Europäische Zentralbank (EZB) hat auf ihrer Ratssitzung am 10. Juni eine klare Botschaft gesendet. Sie hat keine Sorge, dass die Inflation in der Eurozone nachhaltig ansteigt und die Erfüllung ihres stabilitätspolitischen Mandats damit gefährdet wäre. Dabei kann die EZB nicht nur an ihren Worten, sondern vor allem an ihren Taten gemessen werden. Die Leitzinsen bleiben im Ausblick der Notenbanker auf absehbare Zeit auf dem aktuell historisch tiefen Niveau. Auch die Wertpapierkäufe werden in den kommenden Monaten fortgeführt. Das Ankaufstempo beim Pandemie-Notfallankaufprogramm (PEPP) wird im kommenden Quartal sogar erhöht. Die Summe der verkündeten geldpolitischen Maßnahmen ergibt ein klares Bild: Die EZB drückt das geldpolitische Gaspedal weiter bis zum Anschlag durch. Sie tut dies ungeachtet der Erwartung einer spürbaren konjunkturellen Erholung und unter Berücksichtigung des jüngsten Inflationsanstiegs und der Prognose weiter anziehender Preissteigerungsraten in den kommenden Monaten

Leitgedanke hinter der extrem lockeren Geldpolitik: Dauerhaft zu niedrige (!) Inflation

Die EZB folgt bei der Begründung der Fortsetzung ihrer extrem lockeren Geldpolitik im Wesentlichen ihrem Blick auf die Inflationsthematik. Die Notenbanker sind überzeugt, dass von der Corona-Krise per Saldo ein negativer Impuls auf die Inflationsentwicklung ausgeht. Diesem gilt es aus ihrer Sicht grundsätzlich entgegenzuwirken. Das Inflationsgeschehen im bisherigen Jahresverlauf und auch in den kommenden Monaten sehen die Entscheidungsträger der Notenbank durch Basiseffekte überzeichnet und nur als vorübergehend an. Zudem haben die Volkswirte der EZB die turnusmäßig am Jahresanfang anstehende Indexumstellung bei der Berechnung der Inflation als zusätzlichen Treiber identifiziert. Zusätzlich weist die Notenbank daraufhin, dass ein deutlicher Preisanstieg nur bei wenigen Produktgruppen – im Wesentlichen durch höhere Energiepreise bedingt – zu beobachten ist. In den ebenfalls am 10. Juni veröffentlichten Projektionen gesamtwirtschaftlicher Kerndaten gehen die EZB-Volkswirte für die Jahre 2022 und 2023 von stabilen bis leicht rückläufigen Ölpreisen aus. Zwar wurden die Inflationsprognosen für den Zeitraum 2021 bis 2023 im Vergleich zum März 2021 etwas angehoben, eine Kernbotschaft bleibt aber unverändert bestehen. Der aktuelle „Inflationssprint“ bleibt auf 2021 beschränkt. Wie im gesamten Zeitraum seit der Finanzkrise liegt die erwartete Inflation bis 2023 spürbar unter dem Ziel der Notenbank.

EZB-Sorge ist ein beträchtliches Inflationsdefizit

Quelle: Europäische Zentralbank, Rothschild & Co

 

 

Quelle: Europäische Zentralbank, Rothschild & Co

 

 

Symmetrisches Inflationsziel – asymmetrische Fehlertoleranz

Nicht erst seit der Finanzkrise verstehen sich die Notenbanken auch als Risikomanager. Gegenwärtig scheint die EZB die Risiken eines Scheiterns beim nachhaltigen Abbau des Inflationsdefizits höher anzusehen als die Folgen überraschend hoher Preissteigerungsraten. Die symmetrische Auslegung ihres Inflationsziels in Verbindung mit dieser Risikobeurteilung bestärkt die EZB eine höhere Toleranz gegenüber ansteigenden Inflationsraten aufzubringen. In der Konsequenz wird die EZB wird auf absehbare Zeit ihre extrem expansive Geldpolitik beibehalten.

Notenbankpolitik setzt auf garantierten Wertverlust bei "risikofreien" Anlagen

EZB-Präsidentin Lagarde hat die geldpolitischen Entscheidungen vom 10. Juni als einen Kurs der ruhigen Hand bezeichnet. Aus ihren Äußerungen lässt sich herauslesen, dass bei der Überprüfung, wie angemessen der aktuelle geldpolitische Kurs ist, die Entwicklung an den Finanzmärkten und der Trend am Arbeitsmarkt zwei wesentliche Entscheidungskriterien sind. Solange vom Arbeitsmarkt kein Lohndruck aufkommt, sieht die EZB keine Gefahr für einen nachhaltigen Inflationsanstieg. Zudem erachtet sie einen deutlichen Zinsanstieg oder ein grundsätzliches Anziehen von Risikoprämien gegenwärtig als unerwünscht. Auf der anderen Seite des Atlantiks teilt die amerikanische Notenbank (Fed) das Weltbild und die geldpolitische Ausrichtung der EZB. Wenn überhaupt, ist die Inflationstoleranz der Fed nach ihrer Strategieumstellung im letzten Jahr noch expliziter und auch ausgeprägter. Sie akzeptiert ausdrücklich für eine gewisse Zeit Inflationsraten, die über ihrem Ziel liegen, um das Inflationsdefizit der vergangenen Jahre zu schließen. So verwundert es nicht, dass die Mehrheit der Entscheidungsträger der Fed auf ihrer Sitzung am 16. Juni trotz einer aktuellen Inflationsrate von 5% weiterhin zum Ausdruck brachte, dass sie das aktuelle Leitzinsniveau nahe 0% bis mindestens Ende 2022 für angemessen halten. Angesichts des höheren Inflationsdrucks in den USA und der ausgeprägteren Inflationstoleranz ist das Risiko einer nachhaltigen Verfehlung des Inflationsziels der Fed nicht von der Hand zu weisen.

Für die Finanzmärkte ergibt sich hieraus ein eindeutiges Signal. Auf absehbare Zeit ist mit einer geldpolitischen Wende in den großen Industrieländern nicht zu rechnen. Die Verzinsung von vermeintlich risikofreien Anlagen am Geld- und Rentenmarkt bleibt auf historisch niedrigen und teils negativen Niveaus. Der damit verbundene reale Wertverlust wird von den Notenbanken für die absehbare Zukunft praktisch garantiert, und zwar sowohl durch niedrige Leitzinsen als auch und dem Anstreben bzw. Tolerieren von Inflationsraten von 2% und höher. Er ist ein zentraler Baustein für die Erreichung ihrer angestrebten Ziele. Anleger, die diesen realen Substanzverlust vermeiden wollen, bleiben gezwungen, in ihrer Vermögenstrukturierung auf traditionell risikoreichere Anlageklassen zurückzugreifen.